| Textbausteine und wichtige Tipps

Barrierefreie Websites in Ausschreibungen - was Auftraggeber fordern sollten

Unternehmen und Öffentliche Auftraggeber stehen in der Verantwortung, bei der Vergabe digitaler Leistungen klare Anforderungen zu stellen. Doch was genau sollte in einer Ausschreibung für barrierefreie Websites oder PDFs stehen, damit Barrierefreiheit nicht nur gewünscht, sondern auch umgesetzt wird? In diesem Beitrag zeigen wir, welche Standards zählen, wie Sie rechtlich auf der sicheren Seite bleiben – und warum präzise Formulierungen den Unterschied machen.

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Digitale Inhalte sollen für alle Menschen gleich zugänglich sein: Das ist ein hehres Ziel, das in der Praxis nicht immer erreicht wird. Fehlendes Wissen auf Kundenseite kann dabei auf mangelnde Kenntnisse zur digitalen Barrierefreiheit auf Agenturseite treffen. Mit dem Resultat: Alle glauben, es "passt eh irgendwie", doch in der Realität scheitern betroffene User:innen an der Zugänglichkeit der Website oder des PDFs.

Deshalb ist eine klare Definition in der Ausschreibungen eine entscheidende Basis zu einem guten Ergebnis. Nachfolgend einige Tipps, wie das Relaunch der Website oder die Überarbeitung von digitalen Dokumenten durch externe Dienstleister gelingt.

Vorab ein kleiner Hinweis: Wir können hier nur unverbindliche Empfehlungen aussprechen, die keine Beratung durch einen Rechtsanwalt ersetzen kann. Für Anforderungen, die genauen Kriterien entsprechen, empfehlen wir das Gespräch mit einem spezialisierten Juristen.

Ein junger Mann mit einem künstlichen Arm bedient ein Smartphone.
Den Grundstein für zugängliche Websites und PDFs legt man bereits bei der Ausschreibung fest.

Rechtlicher Rahmen

Barrierefreiheit wird in Österreich durch Gesetze eingefordert – schon seit längerem die bauliche Barrierefreiheit, seit wenigen Jahren auch die digitale Barrierefreiheit.

Basis dafür sind die Web Accessibility Directive der Europäischen Union aus dem Jahr 2016 und der European Accessibility Act (EAA) aus dem Jahr 2019. Diese setzten das Ziel, dass digitale Produkte und Dienstleistungen von öffentlichen Stellen bzw. von größeren Unternehmen in Europa für alle Menschen zugänglich sein müssen.

Das umfasst nicht nur Websites und digitale Dokumente – auch alle technische Geräte, Terminals, Selbstbedienungsautomaten und noch vieles mehr fallen darunter.

In Österreich wurden diesen EU-Richtlinien in zwei wesentlichen Gesetzen umgesetzt:

  • Das Web-Zugänglichkeits-Gesetz (WZG) richtet sich seit 2019 an alle öffentlichen Stellen wie Gemeinden, Länder und Einrichtungen des Bunds (mit wenigen Ausnahmen).
  • Das Barrierefreiheitsgesetz (BaFG) ist ab dem 28. Juni 2025 anwendbar und betrifft alle Unternehmen, die Dienstleistungen im "elektronischen Geschäftsverkehr" anbieten – mit Ausnahme von Kleinstunternehmen (weniger als 10 Mitarbeitende und unter 2 Millionen Euro Umsatz bzw. Jahresbilanzsumme)

In der derzeit gültigen Form sehen beide Gesetze eine Barrierefreiheit für Websites nach dem WCAG-Standard 2.1, Konformitätsstufe AA vor. Sollte das nicht erfüllt werden und eine entsprechende Beschwerde ausgesprochen werden, können Unternehmen laut Barrierefreiheitsgesetz u.a. Geldstrafen von bis zu 80.000 Euro erhalten.

Doch Vorsicht: Selbst wenn man nicht unter eines dieser Gesetze fällt, bedeutet das nicht, dass man keine barrierefreien Angebote offerieren muss. Die Bundesverfassung sieht den Gleichheitsgrundsatz und ein Diskriminierungsverbot vor, weshalb eine Gleichstellung von allen Menschen verpflichtend ist. Und Diskriminierung kann teuer werden.

Was in Ausschreibungen konkret gefordert werden sollte

Damit Websites bzw. Dokumente gar nicht erst Barrieren verursachen, folgt man schon bei Ausschreibung und Konzeption den entsprechenden Richtlinien. Eine nachträgliche Änderung bzw. Korrektur ist immer möglich, verursacht jedoch ein Vielfaches an Kosten als wenn man dies gleich von Anfang an mitbedenkt.

Es ist deshalb wichtig, bei einer neuen Ausschreibung dezidierte Anforderungen zu formulieren, statt diese nur als wünschenswerte Kriterien darzustellen.

Websites

Bei Websites sieht die österreichische Gesetzgebung den WCAG-Standard 2.1 (Konformitätslevel AA) sowie zusätzliche Kriterien nach der Europäischen Norm EN 301 549 vor. EN 301 549 erweitert dabei die relativ Web-bezogenen Kriterien der WCAG um weitere, z.B. für biometrische Anwendungen, Videokonferenz-Software oder Apps. Dies gilt sowohl für öffentliche Auftraggeber nach dem WZG als auch Unternehmen nach dem BaFG.

Für öffentliche Auftraggeber stehen dazu umfassende Informationen im Verwaltungs-Wiki bereit. Auch privatwirtschaftliche Unternehmen können sich an den dortigen Empfehlungen orientieren. Der Leitfaden für ein inklusives Vergabewesen bietet auch Textbausteine, die in Ausschreibungen aufgenommen werden können.

Entsprechend kann diese Anforderung z.B. so formuliert werden:

Die Website muss gemäß den rechtlichen Bestimmungen in Gestaltung, Inhalt, Bedienung und technischer Umsetzung barrierefrei nach den Richtlinien für barrierefreie Inhalte (WCAG) in der Fassung WCAG 2.1 / Konformitätslevel AA und nach der Europäischen Norm EN 301 549 (Version 3.2.1, März 2021) erstellt werden. Unter „Inhalt“ sind elektronische Inhalte aller Art zu verstehen: Texte, Dokumente, Multimedia (Audio, Video) etc.

Zusätzlich können Erfahrungen bei Accessibility-Tests, entsprechende Zertifizierungen oder Konformitätserklärungen angefordert werden. Eine entsprechende Referenzliste und Nachweis der Erfahrung im Bereich Barrierefreiheit sollten ebenfalls in einer Ausschreibung vorkommen.

PDFs

Auch bei PDFs werden die WCAG-Standards 2.1 sowie EN 301 549 angewandt. Zusätzlich gibt es hier noch einen Substandard vom PDF-Format: PDF/UA (Universal Accessibility). Diese Norm aus dem Jahr 2012 definiert, wie ein PDF-Dokument barrierefrei aufgebaut sein muss. Auch hier gibt es Kriterien, die nach dem sogenannten Matterhorn Protokoll erfüllt werden müssen. Die Kriterien überschneiden sich teilweise, andere nehmen jedoch mehr Bezug auf das spezielle Dateiformat. Deshalb kann es durchaus geschehen, dass ein Dokument nach WCAG-Kriterien als "barrierefrei" erscheint, nach PDF/UA jedoch nicht – und umgekehrt.

Obwohl PDF/UA in der ersten (und momentan verbreiteten) Form schon gut durchdacht war, wird ein neuer Standard PDF/UA-2 noch mehr Flexibilität und Möglichkeiten bieten. Dieser wurde zwar vollkommen neu entwickelt und ist seit 2024 auch als ISO-Standard definiert, aber wird noch kaum von der entsprechenden Software unterstützt.

Bei der Ausschreibung sollte deshalb PDF/UA-1 vorgesehen werden, z.B.:

Das veröffentlichte PDF muss gemäß den rechtlichen Bestimmungen in Gestaltung, Inhalt, Bedienung und technischer Umsetzung barrierefrei nach den Richtlinien für barrierefreie Inhalte (WCAG) in der Fassung WCAG 2.1 / Konformitätslevel AA, nach der Europäischen Norm EN 301 549 (Version 3.2.1, März 2021) sowie nach dem Standard PDF/UA-1 erstellt werden. Unter „Inhalt“ sind elektronische Inhalte aller Art zu verstehen: Texte, Dokumente, Multimedia (Audio, Video) etc.

Bei allen Ausschreibungen sollte grundsätzlich eine Mängelbehebung vorgesehen werden, wenn diese Standards in einer Überprüfung nicht erreicht werden.

Weitere Tipps bei barrierefreier Ausschreibung

Mit den oben stehenden Formulierungen sollte man auf der sicheren Seite sein. Es kann jedoch manchmal ratsam sein, noch weitere bzw. abgeänderte Anforderungen in der Ausschreibung unterzubringen:

Erfahrungen, Referenzen und Zertifizierung

Digitale Barrierefreiheit ist im Detail eine komplexe Angelegenheit, da nur ca. 35 % der Kriterien durch automatische Tools überprüft werden können. Beim Rest sind präzises Wissen und Erfahrung gefragt, was nicht immer bei jeder Webagentur in der nötigen Tiefe vorhanden ist. Fragen Sie deshalb nach entsprechenden Referenzprojekten und überprüfen Sie diese. Zudem dienen offizielle Zertifizierungen zur Kenntnis der digitalen Barrierefreiheit von incite (Österreich) oder IAAP (international) als Richtlinie über die Qualifikation der Agentur.

Accessibility Overlays

Zahlreiche Firmen versprechen eine schnelle Lösung mit sogenannten "Overlays". Dies sind kleine Scripts, die in einer Website integriert werden und - simsalabim - alles barrierefrei machen sollen. Mittlerweile wurde bereits ausführlich wissenschaftlich und von Betroffenenvertreter:innen erforscht, dass diese Versprechen in allen Fällen nur "Schlangenöl" sind.

Selbst Verbesserungen durch die vorübergehende Verwendung eines Overlays auf einer Website, bis diese korrekt in Struktur, Inhalt und Programmierung überarbeitet wird, sind meist nicht gegeben: Diese vermeintliche Abkürzung wird im Endeffekt deshalb nur zu Mehrkosten führen, die vermeidbar wären.

WCAG 2.2

Die Kriterien nach WCAG 2.1 / AA stellen in jedem Fall Mindestanforderungen dar, da dies gesetzlich so vorgesehen ist. Diese sollte auf jeden Fall in der Ausschreibung eingefordert werden.

Da mittlerweile das W3C den Standard WCAG 2.2 veröffentlicht hat, ist es empfehlenswert, diesen bereits jetzt statt WCAG 2.1 einzufordern. Damit baut man auch gut für die Zukunft vor, denn es ist damit zu rechnen, dass WCAG 2.2 in den nächsten Jahren der neue Mindeststandard - auch in den entsprechenden Gesetzen - wird.

WCAG 3.0 ist übrigens schon in der Entwurfsphase, wird jedoch noch viele Jahre brauchen, bis dies in Gesetzen vorgesehen wird.

Konformitätsstufe AAA

Die Kriterien der WCAG werden nochmals unterteilt in 3 Konformitätsstufen: A, AA und AAA, wobei A am einfachsten zu erfüllen ist. Alle europäischen und die meisten internationalen Gesetze fordern die Konformität nach der Stufe AA. Darüber hinaus könnte es für Unternehmen und öffentliche Stellen auch von Interesse sein, je nach Zielgruppen weitere Kriterien der Konformitätsstufe AAA vorzusehen. AAA fordert z.B. einen höheren Farbkontrast, was für viele Menschen nur von Vorteil ist. Auch gibt AAA ein dezidiertes Leseniveau vor (vergleichbar mit dem B1-Niveau), was für eine breite Zielgruppe hilfreich sein kann. Mitunter kann hier sogar eine noch höhere Anforderung wie Leichte Sprache gesetzt werden. Bei Formularen sieht AAA u.a. eine stärkere Unterstützung der User:innen bei Überprüfung und Korrektur von fehlerhaften Eingaben vor.

Während AA für die meisten Nutzerbedürfnisse ausreichend ist, stellt AAA also sehr hohe Anforderungen, die nicht immer realistisch oder praktikabel für alle Inhalte sein könnten. Trotzdem kann eine freiwillige Verfolgung der höheren Stufe bei ausgewählten Kriterien für die User Experience hilfreich sein.

Barrierefreiheitserklärung, Überprüfung und Nachweise

Der Stand der Barrierefreiheit muss dokumentiert werden sowie auf einer eigenen Seite veröffentlicht werden ("Barrierefreiheitserklärung"). Diese Erklärung kann auch in die Ausschreibung mit aufgenommen werden, damit auch der Prüfungsprozess durch die erstellende Agentur erfolgt.

Besonders bei Bereichen, die erfahrungsgemäß größere Barrieren verursachen können (z.B. Login, Formulare, Multimedia, Interaktionen und besondere Bedienungen mit Maus o.ä.) sollte dies ausführlich geprüft und dokumentiert werden.

Häufige Fehler vermeiden

Das Bewusstsein für das Web-Zugänglichkeits-Gesetz und das Barrierefreiheitsgesetz ist derzeit noch nicht sehr hoch - selbst unter Webdevelopern und Agenturen. Auftraggeber sollten sich deshalb nicht darauf verlassen, dass die Erfüllung der rechtlichen Anforderungen "eh" bei einem Angebot vorgesehen ist. Spätestens, wenn eine Beschwerde von betroffenen Menschen oder einer Monitoringstelle eintrifft, kann die Schuldfrage schwer geklärt werden.

Beachten Sie deshalb die häufigsten Fehler bereits bei der Ausschreibung und Wahl des Dienstleisters:

  • Es fehlen Verständnis für und Kompetenz bei digitaler Barrierefreiheit beim Auftragnehmer. Besser: Lassen Sie sich Referenzen zeigen, überprüfen Sie diese mit einfachen Schritten selbst auf Barrierefreiheit.
  • Der Dienstleister verspricht eine schnelle Lösung, entweder durch ein paar kleine Änderungen im Code oder die Verwendung eines Overlays. Besser: Seien Sie skeptisch, ob diese Abkürzungen wirklich zum gewünschten Ergebnis führen. In den meisten Fällen wird die Ausführung - wissentlich oder unwissentlich - mangelhaft seien und die Folgekosten höher als eine professionelle Ausführung durch Experten von Beginn an.
  • Es wird vom Auftraggeber angenommen, dass Barrierefreiheit auch unausgesprochen von den Auftragnehmern berücksichtigt wird. Besser: Fordern Sie dies in der notwendigen Form dezidiert als Punkt in der Ausschreibung ein.
  • Der Auftragnehmer kennt nicht den gesamten Umfang der Anforderungen bei Digitaler Barrierefreiheit. Besser: Nennen Sie die konkreten Richtlinien und Normen, die erfüllt werden müssen, damit Missverständnisse in der Erwartung vermieden werden.
  • Es gibt keine Dokumentation über die Kontrolle der Barrierefreiheit; bei einer Beschwerde ist unklar, wie der Missstand entstanden ist. Besser: Lassen Sie den Stand der Barrierefreiheit bei Übergabe ausreichend dokumentieren.

Digitale Barrierefreiheit als Teil der Unternehmensphilosophie

Digitale Barrierefreiheit unterstützt viele CSR-Maßnahmen in Unternehmen, ob im Kontakt mit Kund:innen oder bei der Suche nach neuen Mitarbeiter:innen. Sehen Sie deshalb einen barrierefreien Auftritt als sinnvolle Maßnahme zu Ihrem Marktauftritt und nutzen Sie die Ausschreibungen für Websites, PDFs usw.  als strategisches Werkzeug für mehr Inklusion. Zudem liefert Barrierefreiheit immer einen positiven Effekt bei Usability und dem eigenen Google-Ranking (Stichwort SEO).

Je früher standardgerechte Barrierefreiheit dabei implementiert wird, desto eher werden Kosten und rechtliche Probleme in der Zukunft vermieden.

Sprechen Sie mit uns, wenn Sie Unterstützung durch eine spezialisiert Agentur benötigen! Wir beraten Unternehmen und öffentliche Stellen gerne in allen Phasen ihrer Reise zu einer barrierefreien Kommunikation. Durch langjährige Erfahrung bei der Erstellung von "accessible" Websites und PDF-Dokumenten können wir Dienstleistungen punktgenau anbieten.

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